Synthetische Biologie trifft Materialwissenschaften
Lebewesen (einzelne Zellen bis hin zu Organismen), sowie elektrische Systeme (beispielsweise Computer) haben die Möglichkeit auf unterschiedlichste Signale und Eingangsinformationen mit einer Vielfalt an Antwortmöglichkeiten zu reagieren. Der grundlegende gemeinsame Nenner dieser komplexen Systeme ist ihre Fähigkeit, Informationen verarbeiten zu können. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben Wissenschaftler die Prinzipien der Elektrotechnik angewendet, um lebende Zellen zu konzipieren, die Informationen wahrnehmen und verarbeiten können, um gewünschte Funktionen auszuüben. Dieses Fachgebiet wurde als synthetische Biologie betitelt und lieferte bereits vielversprechende Anwendungen in unterschiedlichsten Bereichen der Medizin, Biotechnologie, oder des Energie- und Umweltsektors. Nun hat eine Gruppe Freiburger Wissenschaftler ihr synthetisch biologisches Fachwissen in der Materialwissenschaft angewendet, um biohybride Materialsysteme zu entwickeln, die in der Lage sind, Informationen wahrzunehmen und zu verarbeiten.
“Mit unserem heutigen Verständnis der Komponenten und der biologischen Signalprozesse sind wir nun in der Lage, die biologischen Module aus der Synthetischen Biologie auf Materialien zu übertragen“, erklärt Prof. Wilfried Weber, Gruppenleiter an der Fakultät für Biologie und dem BIOSS Zentrum für biologische Signalstudien. In drei kürzlich erschienenen Publikationen hat sein Team hierfür das Proof of Concept geliefert. Mittels des Wissens über biologische Grundbausteine mit sensorischen, schaltbaren und verarbeitenden Funktionen ist es gelungen, biohybride Schaltkreise in Polymermaterialien zu konstruieren und informationsverarbeitende Materialsysteme zu entwickeln. Diese Systeme waren beispielsweise in der Lage, Lichtpulse zu zählen oder wurden mit einer positiven Rückkopplung ausgestattet, um Eingangssignale zu amplifizierten und somit die sensitive Detektion von Biomolekülen zu ermöglichen. Das Team entwickelte erste Prototypen dieser Materialsysteme, um mehrstufige Biosynthesereaktionen zu kontrollieren oder um Enzyme und kleine Moleküle, wie beispielsweise Antibiotika in Milch, nachweisen zu können.
Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung dieser intelligenten Materialsysteme war, die Aktivitäten aller Bausteine exakt aufeinander abzustimmen. Ähnlich wie bei Computern, könnte die Inkompatibilität einzelner Komponenten das gesamte System abstürzen lassen. Der Schlüssel zur Bewältigung dieser Herausforderung waren quantitative mathematische Modelle, die von Prof. Jens Timmer und Dr. Raphael Engesser am Physikalischen Institut entwickelt wurden. Mit Hilfe dieser Modelle konnten die Wissenschaftler optimale Systemzusammensetzungen vorhersagen, welche anschließend getestet und erfolgreich validiert wurden.
“Das Großartige dieser von der synthetischen Biologie inspirierten Materialsysteme ist ihre Vielfältigkeit”, kommentiert Hanna Wagner, Erstautorin einer der Studien und Doktorandin der Spemann Graduiertenschule für Biologie und Medizin (SGBM). Das modulare Designkonzept, das diesen Studien zugrunde liegt, stellt eine Blaupause für die Entwicklung von biohybriden Materialsystemen dar, die unterschiedlichste physikalische, chemische und biologische Signale detektieren, prozessieren und daraufhin gewünschte Funktionen ausüben können. Hierzu zählen die Amplifikation von Signalen, die Speicherung von Informationen, oder die kontrollierte Freisetzung bioaktiver Moleküle. Solche innovativen Materialien könnten daher eine breite Anwendung in der Forschung, Biotechnologie und Medizin finden.
Original Veröffentlichungen:
1. Synthetic Biology Makes Polymer Materials Count.
Beyer HM, Engesser R, Hörner M, Koschmieder J, Beyer P, Timmer J, Zurbriggen MD, Weber W.
Adv Mater. 2018 May;30(21):e1800472
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/adma.201870150
2. Characterization of the synthetic biology-inspired implementation of a materials-based positive feedback loop.
Wagner HJ, Engesser R, Ermes K, Geraths C, Timmer J, Weber W.
Data Brief. 2018 May 18;19:665-677.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2352340918305808
3. Synthetic biology-inspired design of signal-amplifying materials systems.
Wagner HJ, Engesser R, Ermes K, Geraths C, Timmer J, Weber W. (2018)
Materials Today. doi: 10.1016/j.mattod.2018.04.006.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1369702118300622
Kontakt
Prof. Dr. Wilfried Weber
Faculty of Biology / BIOSS Centre for Biological Signalling Studies
University of Freiburg
Tel.: +49 761 203 97654
E-mail: wilfried.weber@bioss.uni-freiburg.de
Prof. Dr. Jens Timmer
Faculty of Mathematics and Physics / BIOSS Centre for Biological Signalling Studies
University of Freiburg
Tel.: +49 761 203 5829
E-mail: jeti@fdm.uni-freiburg.de
Weitere Informationen
Weber Lab Homepage: http://www.bioss.uni-freiburg.de/synthetic-biology/intro/
Timmer Lab Homepage: http://jeti.uni-freiburg.de